Mit einer Presseberichterstattung über ehrbeeinträchtigende Äußerungen Dritter hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof zu befassen:
In dem hier entschiedenen Fall verlangte ein evangelischer Propst von der örtlichen Zeitung, es zu unterlassen, in der Presse über gegen ihn erhobene Mobbingvorwürfe zu berichten. Sowohl das erstinstanzlich hiermit befasste befasste Landgericht Itzehoe1 wie auch in der Berufungsinstanz das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht2 haben der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Revision des Presseverlegers hat nun jedoch der Bundesgerichtshof die Vorentscheidungen aufgehoben und die Klage des Propstes abgewiesen:
Dem Propst steht der geltend gemachte Anspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 BGB nicht zu.
Der Bundesgerichtshof moniert zunächst, das Berufungsgericht sei teilweise von einem unzutreffenden Aussagegehalt der von der Verlegerin wiedergegebenen Äußerungen Dritter ausgegangen.
Die zutreffende Sinndeutung einer Äußerung ist unabdingbare Voraussetzung für die richtige rechtliche Würdigung ihres Aussagegehalts. Sie unterliegt in vollem Umfang der Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Ziel der Deutung ist stets, den objektiven Sinngehalt zu ermitteln. Dabei ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden maßgeblich noch das subjektive Verständnis des Betroffenen, sondern das Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Ausgehend vom Wortlaut – der allerdings den Sinn nicht abschließend festlegen kann – und dem allgemeinen Sprachgebrauch sind bei der Deutung der sprachliche Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und die Begleitumstände, unter denen sie fällt, zu berücksichtigen, soweit diese für das Publikum erkennbar sind. Zur Erfassung des vollständigen Aussagegehalts muss die beanstandete Äußerung stets in dem Gesamtzusammenhang beurteilt werden, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden. Fernliegende Deutungen sind auszuschließen3.
Die Zeitungsverlegerin berichtet in ihren Artikeln über Spannungen und Vorwürfe innerhalb einer Kirchengemeinde und gibt in diesem Zusammenhang auch Äußerungen zweier Beteiligter wieder. Diese Äußerungen macht sich die Zeitungsverlegerin nicht zu eigen, da sie sich mit ihnen nicht identifiziert, sie nicht in eigene Gedankengänge einfügt und die betroffenen Vorgänge selbst nicht bewertet.
Der tatsächliche Gehalt der Äußerungen bleibt dabei so substanzarm, dass er gegenüber dem Werturteil ganz zurücktritt. Als Tatsachenbehauptung lässt sich diesen Äußerungen nur entnehmen, dass es 700 Kirchenaustritte im Jahr 2013 gegeben habe und dass die genannten Personen die Gemeinde verlassen hätten. Unmittelbar nach Wiedergabe dieser Äußerungen wird in den Artikeln der Verlegerin berichtet, dass die offiziellen Zahlen des Kirchlichen Verwaltungszentrums nur 78 Austritte auswiesen. Daraus ergibt sich für den Leser, dass die von der Verlegerin wiedergegebene Behauptung von diesem überprüft wurde und sich als unwahr herausstellte.
Eine weitere von der Verlegerin wiedergegebene Äußerung „bei der Kirche erfahre man Wertschätzung nur nach außen hin, nach innen könne man nur Hauen und Stechen erwarten.“ enthält als Tatsachenbehauptung lediglich, dass sich der Propst während eines Gesprächs mit der von der Zeitung zitierten Dritten dieser gegenüber entsprechend äußerte.
Soweit sich aus der Wiedergabe der ersten Äußerungen dessen Tatsachenbehauptung entnehmen lässt, dass es 700 Kirchenaustritte im Jahr 2013 gegeben habe und dass bestimmte Personen die Gemeinde verlassen hätten, ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Propstes durch die Berichterstattung der Verlegerin schon nicht betroffen, da sie sich nicht ansehensbeeinträchtigend auswirkt. Denn unmittelbar nach Wiedergabe dieser Äußerungen wird in den Artikeln der Verlegerin berichtet, dass die offiziellen Zahlen des Kirchlichen Verwaltungszentrums nur 78 Austritte auswiesen. Daraus ergibt sich für den Leser, dass die von der Verlegerin wiedergegebene Behauptung von dieser überprüft wurde und sich als unwahr herausstellte. Die von der Verlegerin wiedergegebene Behauptung, dass bestimmte Personen die Gemeinde verlassen hätten, ist vom Propst bestätigt worden und für sich genommen nicht geeignet, sich abträglich auf das Ansehen des Propstes auszuwirken.
Im Übrigen ist durch die Wiedergabe der aufgeführten Äußerungen der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Propstes (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) in seinen Ausprägungen der Berufsehre und der sozialen Anerkennung betroffen4. Denn die Wiedergabe dieser Äußerungen durch die Zeitungsverlegerin in den Artikeln ist geeignet, sich auf das berufliche Ansehen des Propstes abträglich auszuwirken.
Dieser Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Propstes ist nicht rechtswidrig.
Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss grundsätzlich erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt5. Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK (auch i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG) gewährleistete Interesse des Propstes am Schutz seiner sozialen Anerkennung und seiner Berufsehre mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Verlegerin auf Meinungsfreiheit abzuwägen.
Die Schutzinteressen des Propstes überwiegen nicht die schutzwürdigen Belange der Verlegerin.
Soweit die Berichterstattungen der Verlegerin über die Äußerungen den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Propstes betreffen, handelt es sich um die zulässige Wiedergabe von Meinungsäußerungen Dritter.
Ob eine Äußerung als Tatsachenbehauptung oder als Werturteil einzustufen ist, ist eine Rechtsfrage, die der uneingeschränkten Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt. Tatsachenbehauptungen sind durch die objektive Beziehung zwischen Äußerung und Wirklichkeit charakterisiert. Demgegenüber werden Werturteile und Meinungsäußerungen durch die subjektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Aussage geprägt. Wesentlich für die Einstufung als Tatsachenbehauptung ist danach, ob die Aussage einer Überprüfung auf ihre Richtigkeit mit Mitteln des Beweises zugänglich ist. Dies scheidet bei Werturteilen und Meinungsäußerungen aus, weil sie durch das Element der Stellungnahme und des Dafürhaltens gekennzeichnet sind und sich deshalb nicht als wahr oder unwahr erweisen lassen. Eine Äußerung, die auf Werturteilen beruht, kann sich als Tatsachenbehauptung erweisen, wenn und soweit bei dem Adressaten zugleich die Vorstellung von konkreten, in die Wertung eingekleideten Vorgängen hervorgerufen wird. Auch die schlagwortartig verkürzte Wiedergabe eines Sachverhalts kann selbst dann, wenn sie sich wertender Schlagworte bedient, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthalten. Anders liegt es jedoch, wenn der tatsächliche Gehalt der Äußerung so substanzarm bleibt, dass er gegenüber der subjektiven Wertung ganz zurücktritt6. Sofern eine Äußerung, in der Tatsachen und Meinungen sich vermengen, durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, wird sie als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden7. Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich um eine Meinungsäußerung handelt8.
Die genannten Äußerungen beschränken sich auch unter Berücksichtigung des Kontextes auf – zudem allgemein gehaltene – Bewertungen, ohne beim Leser zugleich eine Vorstellung von konkreten, damit zusammenhängenden inneren und äußeren Vorgängen hervorzurufen. Der tatsächliche Gehalt der Äußerungen bleibt so substanzarm, dass er gegenüber dem Werturteil ganz zurücktritt.
Die ehrbeeinträchtigenden Äußerungen betreffen den Propst lediglich in seiner Sozialsphäre. Die Äußerungen beziehen sich auf die berufliche Tätigkeit des Propstes, also einen Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht. Äußerungen im Rahmen der Sozialsphäre dürfen nur in Fällen schwerwiegender Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht mit negativen Sanktionen verknüpft werden, so etwa dann, wenn eine Stigmatisierung, soziale Ausgrenzung oder eine Prangerwirkung zu besorgen ist9. Wird allerdings erkennbar lediglich die geäußerte Meinung eines Dritten dokumentiert, so kann dies bei einem entsprechenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit zulässig sein, selbst wenn die Äußerung diffamierenden Charakter hat10.
Nach diesen Grundsätzen verletzt die Wiedergabe der vom Propst beanstandeten Meinungsäußerungen des J. F. und der S. R. in den Berichten der Verlegerin den Propst nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Das rechtlich geschützte Interesse des Propstes am Schutz seines Persönlichkeitsrechts überwiegt das sich aus Art. 5 Abs. 1 GG ergebende Interesse der Verlegerin an der Berichterstattung nicht. Gegenstand der Berichterstattung der Verlegerin sind Spannungen und Vorwürfe innerhalb einer Kirchengemeinde, die bereits längere Zeit andauerten, weite Kreise zogen und in einer Unterschriftenaktion mündeten. Es handelt sich damit um eine aktuelle Auseinandersetzung mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage. Dabei kommen – im Stil einer Diskussion mit Rede und Gegenrede – verschiedene Beteiligte zu Wort, was dem Leser einen besonders unmittelbaren und authentischen Eindruck der Situation und der unterschiedlichen Sichtweisen vermittelt. So wird den für das Ansehen des Propstes abträglichen Meinungsäußerungen des J. F. und der S. R. nicht nur die Position des Propstes gegenübergestellt, sondern auch die Stellungnahme eines Mitglieds des Kirchenkreisrats und der Pressestelle des Bischofs. Es wird weiter berichtet, dass von „Mobbing und Schikane“ bei befragten Mitgliedern des Kirchengemeinderates „nicht die Rede“ ist. Die Zeitungsverlegerin beschränkt sich auf die Wiedergabe der verschiedenen Äußerungen in dem Konflikt und enthält sich selbst einer eigenen Stellungnahme zu der am Propst geäußerten Kritik.
Gleiches gilt, soweit die beanstandete Wiedergabe durch die Zeitungsverlegerin die Äußerung der S. R. „[der Propst sagte] wortwörtlich, bei der Kirche erfahre man Wertschätzung nur nach außen hin, nach innen könne man nur Hauen und Stechen erwarten.“ umfasst. Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Propst sich gegenüber S. R. nicht wörtlich so äußerte. Allerdings haftet die Zeitungsverlegerin nicht für die Verbreitung dieser Äußerung der S. R. Die Zeitungsverlegerin informiert durch ihre Berichterstattung über den Meinungsstand in der aktuellen Auseinandersetzung um eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Frage . Dass die Zeitungsverlegerin gegen die Sorgfaltspflichten der Presse bei Verbreitung einer fremden Äußerung verstoßen hätte, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ausgeschlossen werden11. Denn es handelte sich nach übereinstimmender Schilderung sowohl von S. R. als auch des Propstes um ein Vier-Augen-Gespräch, zu dessen Inhalt sich der Propst nicht weiter äußern wollte.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 26. Januar 2021 – VI ZR 437/19
- LG Itzehoe, Urteil vom 26.10.2018 – 7 O 121/18[↩]
- OLG Schleswig, Urteil vom 30.10.2019 – 9 U 136/18[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 14.01.2020 – VI ZR 496/18, NJW 2020, 1587 Rn. 28 mwN[↩]
- vgl. dazu BGH, Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 17, 31[↩]
- vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 10.11.2020 – VI ZR 62/17, AfP 2021, 32 Rn. 21 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 25 f. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2014 – VI ZR 39/14, NJW 2015, 773 Rn. 8 mwN; BVerfG [K], Beschluss vom 09.12.2020 – 1 BvR 704/18 21[↩]
- vgl. BVerfG [K], Beschluss vom 09.12.2020 – 1 BvR 704/18 21 mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 27.09.2016 – VI ZR 250/13, NJW 2017, 482 Rn. 21 mwN[↩]
- vgl. BVerfG [K], Beschluss vom 30.09.2003 – 1 BvR 865/00, NJW 2004, 590 13 ff.[↩]
- vgl. dazu BVerfG [K], Beschluss vom 25.06.2009 – 1 BvR 134/03, NJW-RR 2010, 470 Rn. 64 ff.; insbesondere zu auf Interviews beruhenden Reportagen EGMR, Urteil vom 21.01.2016 – 29313/10, NJW 2017, 795 Rn. 46, 58 ff.[↩]
Bildnachweis:
- Zeitung,: meineresterampe