Widerrufsrecht beim Lebensversicherungs-Policenmodell – und seine Verwirkung

Einem Versicherungsnehmer ist es auch im Falle einer unterstellten Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Policenmodells nach Treu und Glauben wegen widersprüchlicher Rechtsausübung verwehrt, sich nach jahrelanger Durchführung des Vertrages auf dessen angebliche Unwirksamkeit zu berufen und daraus Bereicherungsansprüche herzuleiten1.

Widerrufsrecht beim Lebensversicherungs-Policenmodell – und seine Verwirkung

In einem solchen Fall hat sich der Versicherungsnehmer objektiv widersprüchlich verhalten: Die zumindest vertraglich eingeräumte und bekannt gemachte Widerspruchsfrist ließ er bei Vertragsschluss ungenutzt verstreichen. Er zahlte über Jahre (hier: 10 Jahre) die Versicherungsprämien, bis er den Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. und hilfsweise die Kündigung erklärte. Die jahrelangen Prämienzahlungen des bereits bei Vertragsschluss über die Möglichkeit, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, belehrten Versicherungsnehmers haben bei der Versicherungsgesellschaft ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages begründet. Diese vertrauensbegründende Wirkung war für den Versicherungsnehmer auch erkennbar.

Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträchtigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht2.

Auch Maßstäbe des Europarechts hindern hier nicht die Annahme der Verwirkung. Die Maßstäbe für die Berücksichtigung der Gesichtspunkte von Treu und Glauben sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union geklärt3. Die Annahme rechtsmissbräuchlichen Verhaltens steht hier im Einklang mit dieser Rechtsprechung.

Die Frage, ob verbraucherschützende Widerspruchsrechte durch nationale Vorschriften zum Rechtsmissbrauch beschränkt werden dürfen, berührt zwar das Gebot der praktischen Wirksamkeit. Der Anwendung von Treu und Glauben und des Verbots widersprüchlicher Rechtsausübung steht dies aber nicht entgegen, weil die Ausübung dieser Rechte in das nationale Zivilrecht eingebettet bleibt und die nationalen Gerichte ein missbräuchliches Verhalten auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union berücksichtigen dürfen4.

Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben beeinträchtigt auch angesichts der besonderen Umstände des Streitfalles die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts und den Sinn und Zweck des Widerspruchsrechts nicht. Die Erwägungen der Zweiten und Dritten Richtlinie Lebensversicherung, eine genaue Belehrung der Versicherungsnehmer über ihr Widerspruchsrecht vor Abschluss des Vertrages sicherzustellen, werden hier nicht berührt, denn entscheidend ist im Streitfall, dass der Versicherungsnehmer, der dem geltenden nationalen Recht entsprechend ordnungsgemäß über die Möglichkeit belehrt worden ist, den Vertrag ohne Nachteile nicht zustande kommen zu lassen, diesen gleichwohl in Vollzug gesetzt und ihn über mehrere Jahre durchgeführt hat.

Damit kommt es auf die Frage, ob das Policenmodell richtlinienkonform ist, hier nicht an.

Bundesgerichtshof, Beschlüsse vom 11. Juli 2016 – und vom 12. September 2016 – IV ZR 12/16

  1. vgl. im Einzelnen zu den Maßstäben BGH, Urteil vom 16.07.2014 aaO Rn. 3242; BVerfG aaO Rn. 42 ff.[]
  2. vgl. ergänzend BGH, Urteil vom 10.06.2015 – IV ZR 105/13, VersR 2015, 876 Rn. 13 f.[]
  3. siehe im Einzelnen BGH, Urteil vom 16.07.2014 – IV ZR 73/13, BGHZ 202, 102 Rn. 41 f.; BVerfG VersR 2015, 693 Rn. 43 ff.[]
  4. BVerfG aaO Rn. 44 m.w.N.[]