Mit den Anforderungen an die Substantiierung des klagebegründenden Vortrags hatte sich aktuell der Bundesgerichtshof im Rahmen eines Arzthaftungsprozesses zu befassen:
Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen1. Diese Grundsätze gelten insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den ihrer Behauptung zugrundeliegenden Vorgängen hat. Eine Partei darf auch von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von entscheidungserheblichen Einzeltatsachen hat2; dies gilt insbesondere dann, wenn die Behauptung innere Tatsachen einer anderen Person betrifft3.
Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei erst dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt4. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist allerdings Zurückhaltung geboten. In der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte vorliegen5.
Durfte das (Berufungs-)Gericht nach diesen Grundsätzen den Vortrag des Klägers nicht als unsubstantiiert ansehen, so ist dieser Rechtsfehler auch entscheidungserheblich, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Oberlandesgericht Oldenburg, hätte es die Anforderungen an die Substantiierung des klagebegründenden Vortrags nicht in unzulässiger Weise überspannt, den Arzt angehört und ggf. als Partei vernommen und aufgrund des Ergebnisses der Anhörung in freier Beweiswürdigung des Inbegriffs der mündlichen Verhandlung6 zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass der Arzt bereits vor der Operation Kenntnis von Umständen hatte, die auf die Möglichkeit eines Versagens der verwendeten Prothese schließen ließen7.
Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass bei der Anwendung einer noch nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethode in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken zu rechnen ist, weshalb erhöhte Anforderungen an die medizinische Vertretbarkeit der Methode zu stellen sind und grundsätzlich der Sorgfaltsmaßstab eines vorsichtigen Arztes entscheidend ist8. Es wäre weiter nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht Oldenburg die Verwendung der nach der Behauptung des Klägers von der Herstellerin bereits als problematisch angesehenen Kunststoffendoprothese auf der Grundlage der Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen als grob behandlungsfehlerhaft angesehen hätte.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Mai 2021 – VI ZR 401/19
- vgl. BGH, Beschluss vom 26.03.2019 – VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 11; BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19, ZIP 2020, 486 Rn. 7; BVerfG, WM 2012, 492 16, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.01.1995 – VI ZR 31/94, VersR 1995, 433 17; BGH, Beschlüsse vom 26.03.2019 – VI ZR 163/17, VersR 2019, 835 Rn. 13; vom 14.01.2020 – VI ZR 97/19, VersR 2020, 1069 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 13.12.2017 – IV ZR 319/16, VersR 2018, 890 Rn. 17, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 05.11.2003 – VIII ZR 218/01, NJW-RR 2004, 247 14[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 25.04.1995 – VI ZR 178/94, VersR 1995, 852 13; vom 24.06.2014 – VI ZR 560/13, ZIP 2014, 1635 Rn. 36 f.; BGH, Beschluss vom 14.01.2020 – VI ZR 97/19, VersR 2020, 1069 Rn. 8; BGH, Beschluss vom 28.01.2020 – VIII ZR 57/19 ZIP 2020, 486 Rn. 8; Urteile vom 04.03.1991 – II ZR 90/90, NJW-RR 1991, 888 18; vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159 Rn. 40; vom 04.02.2014 – XI ZR 398/12, BKR 2014, 200 Rn. 16; BVerfG, WM 2012, 492 15, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.04.1995 – VI ZR 178/94, aaO; BGH, Urteil vom 08.05.2012 – XI ZR 262/10, aaO[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 16.07.1998 – I ZR 32/96, NJW 1999, 363 21[↩]
- vgl. zur Ermittlung von inneren Tatsachen: BGH, Urteil vom 05.11.2003 – VIII ZR 218/01, NJW-RR 2004, 247 14; BVerfG, NJW 1993, 2165 26[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 22.05.2007 – VI ZR 35/06, BGHZ 172, 254 Rn. 17; vom 15.10.2019 – VI ZR 105/18, VersR 2020, 168 Rn. 15[↩]
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