Die öffentliche Bekanntgabe der von einem namentlich benannten Kind in der Grundschule gezeigten konkreten Verhaltensweisen und Fähigkeiten beeinträchtigt dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf ungestörte kindgemäße Entwicklung. Die durch die Preisgabe nicht in die Öffentlichkeit gehörender Lebenssachverhalte bewirkte Persönlichkeitsrechtsverletzung entfällt nicht dadurch, dass sich der Verletzte oder sein Erziehungsberechtigter nach der Verletzung ebenfalls zu den offenbarten Umständen äußert.
Der Schülerin stehen daher gegen ihre (ehemalige) Lehrerin (hier: der Ehefrau eines ehemaligen Berliner Finanzsenators und späteren Bundesbank-Vorstands) entsprechende Unterlassungsansprüche aus § 823 Abs. 1, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu. Die Veröffentlichung und Verbreitung des Buches „Hexenjagd – Mein Schuldienst in Berlin“, in dem der fehlgeschlagene Versuch der Grundschülerin , eine Klasse zu überspringen, in identifizierender Weise geschildert und diese unter Schilderung näherer Belegtatsachen als unreife und ihren Mitschülerinnen sozial unterlegene „Möchtegernüberspringerin“ dargestellt wird, verletzen die Grundschülerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
Die die Grundschülerin identifizierende Darstellung der Ereignisse im Zusammenhang mit ihrem missglückten Versuch, die zweite Klasse zu überspringen, in dem von der Grundschullehrerin verfassten Buch in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Grundschülerin eingreift. Betroffen ist zum einen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das dem Einzelnen die Befugnis gibt, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden1. Betroffen ist darüber hinaus das Recht der minderjährigen Grundschülerin auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung2. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich erst zu eigenverantwortlichen Personen entwickeln müssen. Ihre Persönlichkeitsentfaltung kann dadurch, dass persönliche Angelegenheiten zum Gegenstand öffentlicher Erörterung gemacht werden, wesentlich empfindlicher gestört werden als die von Erwachsenen3. Das Recht jedes Kindes auf ungehinderte Entwicklung zur Persönlichkeit – auf „Person werden“ – umfasst dabei sowohl die Privatsphäre als auch die kindgemäße Entwicklung und Entfaltung in der Öffentlichkeit4. Der konkrete Umfang des Rechts des Kindes auf ungestörte kindliche Entwicklung ist vom Schutzzweck her unter Berücksichtigung der Entwicklungsphasen des Kindes zu bestimmen5.
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Grundschülerin ist rechtswidrig. Das Interesse der Grundschülerin am Schutz ihrer Persönlichkeit überwiegt das von Verlegerin und Autorin verfolgte Informationsinteresse der Öffentlichkeit und ihr Recht auf Meinungsfreiheit.
Wegen der Eigenart des Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt6.
Im Streitfall ist das durch Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse der Grundschülerin am Schutz ihrer Persönlichkeit mit dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Verlegerin und der Autorin auf Meinungsfreiheit abzuwägen7. Auf die in Art. 5 Abs. 3 GG gewährleistete Kunstfreiheit können sich die Beklagen dagegen nicht berufen. Das Buch fällt nicht in den Schutzbereich dieses Grundrechts.
Der von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Lebensbereich „Kunst“ ist durch die vom Wesen der Kunst geprägten, ihr allein eigenen Strukturmerkmale zu bestimmen. Wie weit danach die Kunstfreiheitsgarantie der Verfassung reicht und was sie im Einzelnen bedeutet, lässt sich nicht durch einen für alle Äußerungsformen künstlerischer Betätigung und für alle Kunstgattungen gleichermaßen gültigen allgemeinen Begriff umschreiben. Die Schwierigkeit, Kunst zu definieren, entbindet indessen nicht von der verfassungsrechtlichen Pflicht, bei der konkreten Rechtsanwendung zu entscheiden, ob die Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vorliegen, und zu diesem Zweck die Grundanforderungen künstlerischer Tätigkeit festzulegen8. Dabei ist im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung von einem weiten Kunstbegriff auszugehen9. Ein Kunstwerk ist jedenfalls dann gegeben, wenn es sich um eine freie schöpferische Gestaltung handelt, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zur Anschauung gebracht werden10. Schildert der Autor eines Werks tatsächliche Begebenheiten und/oder existierende Personen, kommt es darauf an, ob er diese Wirklichkeit künstlerisch gestaltet bzw. eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Letzteres liegt nahe, wenn der Autor tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt und keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Erschöpft sich der Text dagegen in einer reportagehaften Schilderung eines realen Geschehens und besitzt er keine zweite Ebene hinter der realistischen Ebene, so fällt er nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG11.
Nach diesen Grundsätzen ist das von der Grundschullehrerin verfasste Buch nicht als Kunst im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu qualifizieren. Es handelt es um einen reinen Tatsachenbericht, mit dem die Autorin keine gegenüber der realen Wirklichkeit verselbständigte ästhetische Wirklichkeit geschaffen oder angestrebt hat. Die Autorin erhebt vielmehr ausdrücklich einen Faktizitätsanspruch. In ihrem Vorwort weist sie darauf hin, dass sie in erster Linie Missstände im Schulsystem aufdecken wolle und ausschließlich Geschehnisse in ihr Buch aufgenommen habe, die sich tatsächlich ereignet hätten und die sie belegen könne.
Die Abwägung zwischen dem Interesse der Grundschülerin am Schutz ihrer Persönlichkeit und dem in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK verankerten Recht der Verlegerin und der Autorin auf Meinungsfreiheit fällt zugunsten der Grundschülerin aus. Der durch die identifizierende Berichterstattung bewirkte Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht ist erheblich. Im Zeitpunkt der Veröffentlichung des Buches befand sich die Grundschülerin in einer besonders schutzwürdigen Phase ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Sie war 12 Jahre alt, gerade in die siebte Klasse einer weiterführenden Schule gekommen und befand sich kurz vor oder schon in der Pubertät. Die Bekanntgabe konkreter, in der Grundschule gezeigter Verhaltensweisen (Maulereien, Beleidigtsein, Weinen, wenn etwas nicht gelingt) und die konkrete Beschreibung ihrer angeblich noch unzureichenden Schreib, Lese- und Rechenfähigkeiten, die die Grundschullehrerin als Beleg für die von ihr behauptete soziale, emotionale und leistungsmäßige Überforderung der Grundschülerin in der dritten Klasse anführt, beeinträchtigen ebenso wie die zusammenfassende, abwertende Bezeichnung der Grundschülerin als „Möchtegernüberspringerin“ deren Recht auf ungestörte kindgemäße Entwicklung in erheblichem Maße. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine erhebliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Grundschülerin durch die Bekanntgabe konkreter schulischer Verhaltensweisen und die Beschreibung ihrer Fähigkeiten nicht mit der Begründung verneint werden, es liege „in der Natur der Sache“, dass die Grundschülerin von der Grundschullehrerin inhaltlich anders dargestellt werde als in dem von ihrer Mutter veranlassten Pressebericht. Denn die Darstellung der Grundschülerin ist geeignet, ihre Entwicklung zur und ihre Entfaltung als Persönlichkeit nachhaltig zu behindern. Die Grundschülerin musste befürchten, dass die mit konkreten Einzelheiten belegte Darstellung ihrer Person als sozial und emotional unreife „Möchtegernüberspringerin“ Personen in ihrem nahen Umfeld bekannt wird und von diesen als Grundlage zur Beurteilung ihrer Person genommen wird. Sie musste darüber hinaus gewärtigen, das Ziel von Anfeindungen oder Hänseleien – etwa von Mitschülern – zu werden. Bereits diese berechtigten Befürchtungen der Grundschülerin genügen, um eine Beeinträchtigung ihres Rechts auf ungestörte kindgemäße Entwicklung zu bejahen. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es nicht darauf an, ob die Darstellung der Grundschülerin tatsächlich von ihrem Umfeld zur Kenntnis genommen worden ist. Denn der Feststellung konkreter Beeinträchtigungen für die Persönlichkeitsentfaltung des Minderjährigen oder zu einer Gefährdung seines Wohls bedarf es für die Annahme einer Beeinträchtigung des Rechts auf kindgemäße Entwicklung nicht12.
In diesem Zusammenhang ist weiterhin zu berücksichtigen, dass die von der Grundschullehrerin preisgegebenen Informationen über die Grundschülerin auch deshalb einen gesteigerten Schutz vor einer Bekanntgabe an die Öffentlichkeit genießen, weil sie von der – sowohl verbeamtete als auch angestellte Lehrer treffenden – Verschwiegenheitspflicht umfasst sind (§ 37 BeamtStG, § 3 Abs. 2 Tarifvertrag der Länder; vgl. DIJuF-Rechtsgutachten vom 21.03.2012 – J 7.250 Sm, JAmt 2012, 266 f.; Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, § 37 BeamtStG Rn. 7 [Stand: März 2009]). Die dargestellten Verhaltensweisen und Fähigkeiten der Grundschülerin hat diese nämlich im Schulverhältnis gegenüber ihrer Klassenlehrerin, anderen Lehrern oder gegenüber Mitschülern gezeigt; die Grundschullehrerin hat Kenntnis von diesen Umständen allein aufgrund ihrer dienstlichen Tätigkeit als Lehrerin erlangt.
Die Grundschullehrerin hätte ihr Interesse an einer Richtigstellung der angeblich unzutreffenden Zeitungsberichte und an einer Darstellung der Vorkommnisse an den Schulen in B. dagegen ohne ernstliche Einschränkungen auch dann verfolgen können, wenn sie die Grundschülerin anonymisiert hätte13. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts waren die mitgeteilten Informationen über die Grundschülerin auch nicht bereits vor der Veröffentlichung des Buches einer breiten Öffentlichkeit bekannt und prägten die Sicht auf sie. Aufgrund der Berichterstattung in den Medien im November 2008 und Januar 2011 war allenfalls bekannt geworden, dass eine Tochter von A. X. an der Grundschule der Grundschullehrerin die zweite Klasse überspringen sollte und die Grundschullehrerin dieses Ziel nicht ermöglicht hat. Nicht bekannt waren hingegen die von der Grundschullehrerin im Einzelnen dargestellten schulischen Verhaltensweisen und die Schreib, Lese- und Rechenfähigkeiten der Grundschülerin. Ebenso wenig war ihr voller oder abgekürzter Vorname bekannt geworden. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Vorname einer Zweit- bzw. Drittklässlerin, deren Nachname und Grundschule bekannt sind, überhaupt ohne weiteres recherchiert werden kann. Selbst wenn dies einem Teil der Leser der Artikel gelungen ist, hätte die Grundschülerin ihre Anonymität dadurch noch nicht verloren. Denn durch die Veröffentlichung des Buches ist der Kreis derjenigen Personen, die Kenntnis vom Vornamen der Grundschülerin hatten, erheblich erweitert worden14. Anders als in den vom Bundesgerichtshof am 5.11.2013 und 29.04.2014 entschiedenen Fällen15 fügte die vorliegend angegriffene Darstellung der Grundschülerin dem – allenfalls – in der Öffentlichkeit vorhandenen Kenntnisstand in zweifacher Hinsicht etwas Neues hinzu. Zum einen wurde der noch nicht bekannte Vorname der Grundschülerin preisgegeben; zum anderen wurden konkrete – von der Grundschülerin in der Grundschule gezeigte – Verhaltensweisen und Fähigkeiten bekannt gemacht und ihre schulische Entwicklung aufgezeigt. Die identifizierende Darstellung der Grundschülerin im Buch der Verlegerin und der Autorin/Grundschullehrerin hatte damit entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts einen eigenständigen Verletzungsgehalt16.
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung kommt es auch nicht darauf an, ob sich die Mutter der Grundschülerin im Anschluss an die Veröffentlichung des Buches öffentlich zu den Vorgängen geäußert und die von der Grundschullehrerin berichteten Informationen bestätigt hat. Denn eine durch die Preisgabe nicht in die Öffentlichkeit gehörender Lebenssachverhalte bewirkte Persönlichkeitsrechtsverletzung entfällt nicht dadurch, dass sich der Verletzte oder sein Erziehungsberechtigter nach der Verletzung ebenfalls zu den offenbarten Umständen äußert17.
Die Grundschülerin kann aufgrund der aufgezeigten Rechtsverletzung von Verlegerin und Autorin/Grundschullehrerin nicht nur Unterlassung der Veröffentlichung und Verbreitung der ersten Auflage des Buches, sondern auch aller weiteren Auflagen desselben und des eBooks verlangen, wenn die Grundschülerin darin als Tochter und/oder Kind der A…. X. bezeichnet wird und dies so geschieht wie in dem als Anlage K 1 vorgelegten Buchausdruck. Denn der rechtswidrige Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Grundschülerin liegt darin, dass in dem von der Grundschullehrerin verfassten und von der Verlegerin vertriebenen Buch die von der Grundschülerin in der Grundschule gezeigten Verhaltensweisen (Maulereien, Beleidigtsein, Weinen, wenn ihr etwas nicht gelingt) und ihre angeblich unzureichenden Schreib, Lese- und Rechenfähigkeiten in identifizierender Weise geschildert werden. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat und die Revisionserwiderung nicht ernsthaft in Frage stellt, war die Grundschülerin auch ohne die Angabe ihres vollen oder abgekürzten Namens aufgrund der mitgeteilten Umstände (Name der Mutter, Bezeichnung der Grundschülerin als deren Tochter, Name der Schule, Angabe der Klasse und der für einen nicht unerheblichen Personenkreis identifizierbar. Die Identifizierbarkeit ist nämlich bereits dann gegeben, wenn eine Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil des Leser- oder Adressatenkreises aufgrund der gemachten Angaben hinreichend erkennbar wird. Es kann die Wiedergabe von Teilinformationen genügen, aus denen sich die Identität für die sachlich interessierte Leserschaft ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln lässt18.
Vorliegend waren die mitgeteilten Informationen über die Grundschülerin nicht bereits vor der Veröffentlichung des Buches einer breiten Öffentlichkeit bekannt und prägten die Sicht auf sie. Wie oben bereits aufgeführt, war aufgrund der Berichterstattung in den Medien im November 2008 und Januar 2011 allenfalls bekannt geworden, dass eine Tochter von A. X. an der Grundschule der Grundschullehrerin die zweite Klasse überspringen sollte und die Grundschullehrerin dieses Ziel nicht ermöglicht hat. Nicht bekannt waren hingegen das konkrete schulische Verhalten der Grundschülerin und ihr Leistungsstand, mit denen die Grundschullehrerin die angebliche soziale, emotionale und leistungsmäßige Überforderung der Grundschülerin in der dritten Klasse begründet hat.
Die für den Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr ist gegeben. Sie wird aufgrund der erfolgten Rechtsverletzung vermutet19. Diese Vermutung haben die Verlegerin und die buchschreibende Grundschullehrerin nicht entkräftet. Sie ist insbesondere nicht durch die von der Verlegerin und der Grundschullehrerin abgegebene strafbewehrte Unterlassungserklärung entfallen. Denn Gegenstand dieser Erklärung ist lediglich die Verwendung des vollständigen oder abgekürzten Namens der Grundschülerin, nicht hingegen die Mitteilung anderer Umstände, durch die die Grundschülerin erkennbar gemacht wird.
Die Unterlassungsverpflichtung der Verlegerin und der Autorin/Grundschullehrerin in Bezug auf die erste Auflage des Druckerzeugnisses „Hexenjagd – Mein Schuldienst in Berlin“ ist nicht deshalb erloschen, weil ihnen die Erfüllung ihrer Unterlassungsverpflichtung unmöglich wäre. Sie zeigen keinen in den Tatsacheninstanzen übergangenen Sachvortrag auf, wonach das Buch auf dem Markt nicht mehr erhältlich wäre. Der neue und von der Grundschülerin bestrittene Vortrag der Verlegerin und der Autorin/Grundschullehrerin in der Revisionsinstanz, wonach die erste Auflage nicht mehr lieferbar sei, ist im Revisionsverfahren nicht zu berücksichtigen20.
Die Verlegerin ist von ihrer Unterlassungsverpflichtung auch nicht hinsichtlich solcher Exemplare entbunden, die bereits an den Buchhandel ausgeliefert wurden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erschöpft sich die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die – wie im Streitfall – ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, nicht in bloßem Nichtstun. Vielmehr umfasst sie auch die Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung der Störungsquelle, wenn allein dadurch dem Unterlassungsgebot Folge geleistet werden kann21. Dementsprechend hat der Unterlassungsschuldner, um bestehende Gefahrenlagen zu beseitigen und künftige Verletzungen zu verhindern, erforderlichenfalls auf Dritte einzuwirken, wenn und soweit er auf diese – rechtlich oder tatsächlich – Einfluss nehmen kann22.
Die Geltendmachung der Unterlassungsansprüche durch die Grundschülerin ist weder rechtsmissbräuchlich noch verstößt sie gegen das Schikaneverbot (§ 226 BGB). Die Rechtsverfolgung dient ersichtlich der Wahrung der Rechte der Grundschülerin, insbesondere ihres Rechts auf ungestörte kindliche Entwicklung; sie ist nicht darauf gerichtet, der Verlegerin oder ihrer (ehemaligen) Grundschullehrerin Schaden zuzufügen.
Aufgrund der aufgezeigten Rechtsverletzung steht der Grundschülerin gegen die Verlegerin und ihre (ehemalige) Grundschullehrerin darüber hinaus ein auf die Erstattung der ihr entstandenen Rechtsverfolgungskosten gerichteter Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war zur Wahrnehmung der Rechte der Grundschülerin notwendig. Die Bemessung der Höhe dieses Schadensersatzanspruchs auf der Grundlage eines Gegenstandswerts von 30.000 € und eines Gebührensatzes von 1, 3 gemäß § 14 Abs. 1 RVG, Nr. 2300 RVG-VV ist für den Bundesgerichtshof rechtlich nicht zu beanstanden.
Dagegen verneint der Bundesgerichtshof einen Unterlassungsanspruch der Grundschülerin, soweit dieser auf das Verbot gerichtet ist, die Grundschülerin in der Öffentlichkeit und/oder in Bezug auf das Buch in identifizierender Weise zu bezeichnen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, fehlt es an der für einen Unterlassungsanspruch erforderlichen Begehungsgefahr. Nach den Feststellungen des Landgerichts ist es unstreitig, dass es in der Vergangenheit nicht zu einer entsprechenden Rechtsverletzung gekommen ist. Dass die Grundschullehrerin, wie die Grundschülerin ausweislich der tatbestandlichen Feststellungen im Berufungsurteil mit der Berufung geltend gemacht hat, anlässlich einer Buchvorstellung ausführlich über den Fall der Grundschülerin berichtet hat, was den interessierten Zuhörer zum Kauf des Buchs bewegen und dadurch zur Identifizierung der Grundschülerin führen könne, genügt nicht. Dieses Verhalten gibt keinen Anlass zu der Befürchtung, dass sich die Grundschullehrerin zukünftig im Rahmen von Buchvorstellungen nicht auf die abstrakte Schilderung des Falls beschränken, sondern die Grundschülerin in identifizierbarer Weise damit in Verbindung bringen wird. Weitergehenden, von der Grundschülerin in den Tatsacheninstanzen gehaltenen Sachvortrag, dem eine konkrete Begehungsgefahr zu entnehmen wäre, zeigt die Revision nicht auf.
Der Grundschülerin steht auch kein Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die schuldhafte Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einen Anspruch auf eine Geldentschädigung, wenn es sich um einen schwerwiegenden Eingriff handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend aufgefangen werden kann. Ob eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorliegt, dass die Zahlung einer Geldentschädigung erforderlich ist, kann nur aufgrund der gesamten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Hierbei sind insbesondere die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie der Grad seines Verschuldens zu berücksichtigen23. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung ist auch ein erwirkter Unterlassungstitel zu berücksichtigen; der Titel und die mit ihm verbundenen Vollstreckungsmöglichkeiten können den Geldentschädigungsanspruch beeinflussen und im Zweifel sogar ausschließen24. Denn die Zubilligung einer Geldentschädigung im Fall einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung findet ihre sachliche Berechtigung in dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde25.
Nach diesen Grundsätzen ist die Zahlung einer Geldentschädigung nicht erforderlich. Zwar ist der Eingriff in das Recht der Grundschülerin auf ungehinderte Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ungestörte kindgemäße Entwicklung erheblich. Der Bundesgerichtshof hat auch unterstellt, dass das Buch im Februar 2013 im Religionsunterricht der Grundschülerin zweimal besprochen wurde und die Grundschülerin aus Angst davor, dass ihre Mitschüler Kenntnis von den sie betreffenden Passagen des Buches erlangen würden, im zeitlichen Zusammenhang unter Kopf- und Bauchschmerzen litt. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass der rechtswidrige Eingriff nicht gegen die Grundlagen ihrer Persönlichkeit gerichtet ist; er trifft sie nicht im Kern ihrer Persönlichkeit. Die mit ihm verbundenen Beeinträchtigungen können befriedigend durch den von ihr im vorliegenden Verfahren erwirkten Unterlassungstitel und das Ordnungsmittelverfahren aufgefangen werden. Wie unter I. 4. ausgeführt umfasst die Verpflichtung der Verlegerin und der Autorin/Grundschullehrerin zur Unterlassung auch die Pflicht, die von ihnen geschaffene Störungsquelle im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren zu beseitigen und künftige Rechtsverletzungen zu verhindern. Hierdurch erlangt die Grundschülerin hinreichend Genugtuung.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. September 2015 – VI ZR 175/14
- vgl. BGH, Urteile vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 9; vom 30.09.2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 536; vom 13.01.2015 – VI ZR 386/13, VersR 2015, 336 Rn. 9, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12, BGHZ 198, 346 Rn. 17 mwN; BVerfGK 8, 173, 175; BVerfG, NJW 2000, 2191, 2192; AfP 2003, 537[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12, BGHZ 198, 346, Rn. 17; vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 9; BVerfGE 101, 361, 385; 119, 1, 24; 120, 180, 199[↩]
- vgl. BVerfG, NJW 2000, 2191, 2192[↩]
- BVerfG, AfP 2003, 537[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 17.12 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 22 = AfP 2014, 135; vom 30.09.2014 – VI ZR 490/12, AfP 2014, 534, 536[↩]
- vgl. auch EGMR vom 12.03.2015, Almeida Leitão Bento Fernandes gegen Portugal, Appl. no. 25790/11[↩]
- vgl. BVerfGE 67, 213, 225; 75, 369, 377[↩]
- BVerfGE 67, 213, 225; 119, 1, 23 – Esra; v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Art. 5 Abs. 3 Rn. 298 f., 301; BeckOK/Kempen, GG, Art. 5 Rn. 163 [Stand: 1.06.2015][↩]
- vgl. BVerfGE 30, 173, 188 f.; 67, 213, 226; 75, 369, 377; 119, 1, 20 f. – Esra[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 10.06.2008 – VI ZR 252/07, AfP 2008, 385 Rn. 8 – Esra; BVerfGE 119, 1, 20 f., 28 f., 31, 33 – Esra; BVerfG AfP 2008, 155 Rn. 4[↩]
- vgl. BVerfGK 8, 173, 176; BVerfG, AfP 2003, 537[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 08.02.1994 – VI ZR 286/93, AfP 1994, 138, 139[↩]
- vgl. BVerfG, AfP 2010, 365 Rn. 33[↩]
- BGH, Urteile vom 05.11.2013 – VI ZR 304/12; sowie vom 29.04.2014 – VI ZR 13/13 und VI ZR 138/13[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 29.04.2014 – VI ZR 137/13, AfP 2014, 325 Rn. 22; vom 29.06.1999 – VI ZR 264/98, AfP 1999, 350, 351[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 14.10.2008 – VI ZR 272/06, AfP 2008, 610 Rn. 24; vom 19.10.2004 – VI ZR 292/03, AfP 2004, 540, 543[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 10.12 1991 – VI ZR 53/91, AfP 1992, 140, 141; vom 21.06.2005 – VI ZR 122/04, AfP 2005, 464, 465; BVerfGK 3, 319, 321 f.; Soehring in Soehring/Hoene, Presserecht, 5. Auflage, § 17 Rn. 3; Wenzel/Burkhardt, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Kap. 12 Rn. 43[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 27.05.1986 – VI ZR 169/85, AfP 1986, 241, 242; vom 30.06.2009 – VI ZR 210/08, AfP 2009, 494 Rn. 29; vom 19.03.2013 – VI ZR 93/12, AfP 2013, 250 Rn. 31[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 23.09.2014 – VI ZR 358/13, BGHZ 202, 242 Rn.20 f. mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 11.11.2014 – VI ZR 18/14, AfP 2015, 33 Rn. 16 zur titulierten Unterlassungsverpflichtung; BGH, Urteile vom 22.10.1992 – IX ZR 36/92, BGHZ 120, 73, 76 f.; vom 18.09.2014 – I ZR 76/13, GRUR 2015, 258 Rn. 64; Beschluss vom 25.01.2007 – I ZB 58/06, NJW-RR 2007, 863 Rn. 17, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 28.07.2015 – VI ZR 340/14, WM 2015, 1664 Rn. 40; BGH, Urteil vom 18.09.2014 – I ZR 76/13, GRUR 2015, 258 Rn. 70; OLG Köln, GRUR-RR 2008, 365; MMR 2010, 782, 783; Ott, WRP 2007, 605, 608; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 10. Aufl., 57. Kap. Rn. 26; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 33. Aufl., § 12 Rn.06.7[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 09.07.1985 – VI ZR 214/83, BGHZ 95, 212, 214 f.; vom 24.11.2009 – VI ZR 219/08, BGHZ 183, 227 Rn. 11; vom 17.12 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 38 ff.; vom 21.04.2015 – VI ZR 245/14, AfP 2015, 337 Rn. 33, jeweils mwN[↩]
- vgl. BGH, Urteil vom 25.05.1971 – VI ZR 26/70, DB 1971, 1660, 1661; BGH, Beschluss vom 30.06.2009 – VI ZR 340/08 3[↩]
- vgl. BGH, Urteile vom 09.07.1985 – VI ZR 214/83, BGHZ 95, 212, 215; vom 15.11.1994 – VI ZR 56/94, BGHZ 128, 1, 15 f.; vom 05.10.2004 – VI ZR 255/03, BGHZ 160, 298, 302; vom 06.12 2005 – VI ZR 265/04, BGHZ 165, 203, 204 f.; vom 17.12 2013 – VI ZR 211/12, BGHZ 199, 237 Rn. 40; BVerfGE 34, 269, 292 f.; BVerfG NJW 2000, 2187 f.; Müller, VersR 2008, 1141, 1150[↩]