Auch bei einer Organspende unter Ehegatten oder Verwandten (Lebendspende) besteht eine Aufklärungspflicht des behandelnden Arztes gegenüber dem Lebendspender über die Risiken, Nebenwirkungen und Spätfolgen der Lebendspende. Ist diese Aufklärung unzureichend kann die Haftung des Arztes nicht mit dem Argument verneint werden, der Spender hätte die Organspende in jedem Fall getätigt.
Der Bundesgerichtshof hatte jetzt über zwei derartige Fälle aus Essen zu entscheiden:
- In dem ersten Fall1 spendete die Tochter ihrem an einer chronischen Niereninsuffizienz auf dem Boden einer Leichtkettenerkrankung leidenden Vater im Februar 2009 eine Niere. Im Mai 2014 kam es zum Transplantatverlust beim Vater. Die Spenderin behauptet, infolge der Organspende an einem chronischen Fatigue-Syndrom und an Niereninsuffizienz zu leiden und macht eine formal wie inhaltlich ungenügende Aufklärung geltend.Das erstinstanzlich hiermit befasste Landgericht Essen hat die auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht für künftige Schäden gerichtete Klage abgewiesen2. Auch die Berufung der Tochter hatte vor dem Oberlandesgericht Hamm keinen Erfolg3. Zwar hätten das Universitätsklinikum und die dort tätigen Ärzte gegen verfahrensrechtliche Vorgaben aus § 8 Abs. 2 TPG (2007) verstoßen, weil weder eine ordnungsgemäße Niederschrift über das Aufklärungsgespräch gefertigt noch das Aufklärungsgespräch in Anwesenheit eines neutralen Arztes durchgeführt worden sei. Doch führe dieser formale Verstoß nicht automatisch zu einer Unwirksamkeit der Einwilligung der Spenderin in die Organentnahme. Eine Haftung des Krankenhauses und der Ärzte folge auch nicht aus der inhaltlich unzureichenden Risikoaufklärung. Denn es greife der von diesen erhobene Einwand der hypothetischen Einwilligung, da die Tochter nicht plausibel dargelegt habe, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung von einer Organspende abgesehen hätte.
- Im zweiten Fall4 spendete ein Ehemann seiner an Niereninsuffizienz leidenden und dialysepflichtigen Ehefrau im August 2010 ebenfalls eine Niere. Der Spender behauptet, seit der Organentnahme an einem chronischen Fatigue-Syndrom zu leiden. Die Risikoaufklärung sei formal wie inhaltlich unzureichend gewesen.Auch hier hat das Landgericht Essen erstinstanzlich die auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gerichtete Klage abgewiesen5. Die Berufung des Ehemanns blieb vor dem Oberlandesgericht Hamm ebenfalls ohne Erfolg6. Etwaige formale Verstöße gegen § 8 Abs. 2 TPG (2007) begründeten keine Haftung. Eine solche folge auch nicht aus der inhaltlich fehlerhaften Risikoaufklärung, da der Ehemann selbst bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt hätte.
In beiden Fällen hat nun der Bundesgerichtshof die Vorentscheidungen auf die Revisionen der Spender aufgehoben und die Sachen zur Feststellung des Schadensumfangs an das Oberlandesgericht Hamm zurückverwiesen:
Zwar sind die Klagen nicht bereits wegen der festgestellten Verstöße gegen die Vorgaben des § 8 Abs. 2 Satz 3 TPG (Anwesenheit eines neutralen Arztes beim Aufklärungsgespräch) und § 8 Abs. 2 Satz 4 TPG (von den Beteiligten zu unterschreibende Niederschrift über das Aufklärungsgespräch) begründet. Bei den unbeachtet gebliebenen Regelungen handelt es sich (lediglich) um Form- und Verfahrensvorschriften, welche die Pflicht des Arztes zur Selbstbestimmungsaufklärung des Spenders begleiten. Verstöße hiergegen führen nicht per se zur Unwirksamkeit der Einwilligung der Spender in die Organentnahme und zu deren Rechtswidrigkeit, sondern sind (erst) im Rahmen der Beweiswürdigung als starkes Indiz dafür heranzuziehen, dass eine Aufklärung durch die – insoweit beweisbelastete – Behandlungsseite nicht oder jedenfalls nicht in hinreichender Weise stattgefunden hat.
Die Berechtigung des jeweiligen Klagebegehrens jedenfalls dem Grunde nach folgt jedoch aus den festgestellten inhaltlichen Aufklärungsmängeln. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts Hamm wurden die beiden Spender, deren eigene Nierenfunktionswerte sich bereits präoperativ im unteren Grenzbereich befanden, nicht ordnungsgemäß über die gesundheitlichen Folgen der Organentnahme für ihre Gesundheit aufgeklärt. Die Spenderin des ersten Verfahrens1 hätte zudem über das erhöhte Risiko eines Transplantatverlusts bei ihrem Vater aufgrund von dessen Vorerkrankung aufgeklärt werden müssen. Damit ist die von den Spendern erteilte Einwilligung in die Organentnahme unwirksam und der Eingriff jeweils rechtswidrig.
Für den vom Krankenhaus und den behandelnden Ärzten hiergegen erhobenen Einwand, die Spender hätten auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die Organentnahme eingewilligt, sieht der Bundesgerichtshof entgegen der Auffassung des OLG Hamm kein Raum:
Der Einwand der hypothetischen Einwilligung ist im Transplantationsgesetz nicht geregelt. Angesichts des vom Gesetzgeber geschaffenen gesonderten Regelungsregimes des Transplantationsgesetzes lassen sich die zum Arzthaftungsrecht entwickelten Grundsätze der hypothetischen Einwilligung nicht auf die Lebendorganspende übertragen. Der Einwand ist auch nicht nach dem allgemeinen schadensersatzrechtlichen Gedanken des rechtmäßigen Alternativverhaltens beachtlich, weil dies dem Schutzzweck der erhöhten Aufklärungsanforderungen bei Lebendspenden (§ 8 Abs. 2 Satz 1 und 2 TPG) widerspräche.
Die vom Gesetzgeber bewusst streng formulierten und in § 19 Abs. 1 Nr. 1 TPG gesondert strafbewehrten Aufklärungsvorgaben sollen den potentiellen Organspender davor schützen, sich selbst einen größeren persönlichen Schaden zuzufügen; sie dienen dem „Schutz des Spenders vor sich selbst“. Jedenfalls bei der Spende eines – wie hier einer Niere – nicht regenerierungsfähigen Organs, die nur für eine besonders nahestehende Person zulässig ist (§ 8 Abs. 1 Satz 2 TPG), befindet sich der Spender in einer besonderen Konfliktsituation, in der jede Risikoinformation für ihn relevant sein kann. Die echte Freiwilligkeit der Spende ist zudem vorab durch eine Kommission zu verifizieren (§ 8 Abs. 3 TPG).
Könnte die Behandlungsseite vor diesem Hintergrund mit dem Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens eine Haftung abwenden, bliebe die rechtswidrige Organentnahme insoweit sanktionslos und würden die gesonderten Aufklärungsanforderungen des Transplantationsgesetzes unterlaufen. Dies erschütterte das notwendige Vertrauen potentieller Lebendorganspender in die Transplantationsmedizin. Denn die Einhaltung der Vorgaben des Transplantationsgesetzes ist unabdingbare Voraussetzung, wenn – um des Lebensschutzes willen – die Bereitschaft der Menschen zur Organspende langfristig gefördert werden soll.
Bundesgerichtshof, Urteile vom 29. Januar 2019 – – VI ZR 495/16 und VI ZR 318/17