Sechs-Monats-Berufungsfrist

Der Beginn der einmonatigen Berufungsfrist mit Ablauf von fünf Monaten seit Erlass der Entscheidung greift auch dann, wenn die Zustellung unterblieben ist oder die zugestellte Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung vom Original abweicht. Es ist jedoch unverzichtbar, dass innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO ein beweiskräftiges Protokoll über die Verkündung eines Urteils auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel erstellt wird.

Sechs-Monats-Berufungsfrist

Die Verkündung eines Urteils ist wirksam, auch wenn das Urteil entgegen § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht innerhalb der Regelfrist von drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet worden ist. Das Urteil ist auch dann wirksam verkündet worden, wenn das Urteil in dem zur Verkündung anberaumten Termin noch nicht in vollständiger Form abgefasst war. Tatbestand und Entscheidungsgründe sind nicht wesensmäßige Voraussetzungen eines Urteils.

Der Beginn der einmonatigen Berufungsfrist mit Ablauf von fünf Monaten seit Erlass der Entscheidung greift auch dann, wenn die Zustellung unterblieben ist oder die zugestellte Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung vom Original abweicht. Es hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Verkündung, dass beim Ablauf der Fünfmonatsfrist noch nicht die vollständige Entscheidung vorgelegen hat. Der letzte Halbsatz des § 517 ZPO verhindert, dass deswegen nie Rechtskraft eintritt. Entsprechend der Ratio der Regelung, die an die Verkündung anknüpft, genügt es, dass diese wirksam war, mangelfrei muss sie nicht sein.

Muss eine Partei mit dem Erlass einer Entscheidung nicht rechnen und kann es ihr deshalb nicht zugemutet werden, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine solche Entscheidung ergangen ist, kann ausnahmsweise die Fünfmonatsfrist nicht zu laufen beginnen, was etwa dann in Betracht kommt, wenn die beschwerte Partei im Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen war.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist es unverzichtbar, dass innerhalb der Fünfmonatsfrist des § 517 ZPO ein beweiskräftiges Protokoll über die Verkündung eines Urteils auf der Grundlage einer schriftlich fixierten Urteilsformel erstellt wird. Allein durch das Protokoll kann bewiesen werden, dass und mit welchem Inhalt ein Urteil verkündet worden ist. Vom Zeitpunkt der Verkündung hängt wiederum der Lauf der Berufungsfrist ab, wenn das Urteil erst nach dem Ablauf der Fünfmonatsfrist zugestellt worden ist. Hierüber muss vor Ablauf der Fünfmonatsfrist aus den Akten Klarheit zu gewinnen sein. Ebenso muss feststellbar sein, ob das Urteil in Rechtskraft erwachsen ist, weil – wie hier – nicht innerhalb der spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung beginnenden Rechtsmittelfrist Berufung eingelegt worden ist1.

Das Verkündungsprotokoll ist im vorliegenden Fall von der zuständigen Richterin unterschrieben worden, datiert von diesem Tag und befindet sich auch an der richtigen Stelle der Akte. Dazu befindet sich auf dem unmittelbar danach in der Akte befindlichen Urteil mit einer schriftlich fixierten Urteilsformel der Stempel der Geschäftsstelle, dass das Urteil am 12.05.2020 zur Geschäftsstelle gelangt ist.

Das genannte Urteil ist nie in vollständiger Form abgefasst worden (sondern es ist im später anberaumten schriftlichen Verfahren am 15.01.2021 ein weiteres Urteil verkündet worden, gegen das nunmehr Berufung eingelegt wird). Auch handelt es sich nicht um eine Urteilsergänzung im Sinne des § 518 ZPO. Damit hat die Berufungsfrist mit dem Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung geendet.

Die Verkündung des Urteils war wirksam, obwohl das Urteil entgegen § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO – nach mehrfacher Verlegung des Verkündungstermins – nicht innerhalb der Regelfrist von drei Wochen nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet worden ist. Die Vorschrift des § 310 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist eine bloße Ordnungsvorschrift2.

Das Urteil ist auch dann wirksam verkündet worden, wenn das Urteil in dem zur Verkündung anberaumten Termin noch nicht in vollständiger Form abgefasst war (wie hier). Tatbestand und Entscheidungsgründe sind nicht wesensmäßige Voraussetzungen eines Urteils3. Der Beginn der einmonatigen Berufungsfrist mit Ablauf von fünf Monaten seit Erlass der Entscheidung greift auch dann, wenn die Zustellung unterblieben ist oder die zugestellte Ausfertigung der gerichtlichen Entscheidung vom Original abweicht4.

Ebenso wenig hatte es Einfluss auf die Wirksamkeit der Verkündung, dass beim Ablauf der Fünfmonatsfrist noch nicht die vollständige Entscheidung vorgelegen hat. Auch bei Fehlen von Gründen liegt eine wirksame Entscheidung vor, die nur auf ein zulässiges Rechtsmittel hin aufgehoben werden kann5. Die durch das Urteil beschwerte Partei erleidet dadurch auch keinen unzumutbaren Nachteil. Sie muss zwar spätestens binnen sechs Monaten nach der Verkündung eine Entscheidung darüber treffen, ob sie das Urteil anfechten will und in diesem Fall Berufung einlegen. Sie hat es aber in der Hand, rechtzeitig nach § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zu erwirken6.

Besondere Umstände, die es zulassen würden, eine Ausnahme von der Bestimmung des § 517 ZPO anzunehmen, waren im hier entschiedenen Fall nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts nicht gegeben. Dieser Vorschrift liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Partei, die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlass einer Entscheidung rechnen muss und dass es ihr deshalb zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine solche Entscheidung ergangen ist. Trifft dieser Grundgedanke im Einzelfall nicht zu, kann ausnahmsweise die Fünfmonatsfrist nicht zu laufen beginnen, was etwa dann in Betracht kommt, wenn die beschwerte Partei im Verhandlungstermin nicht vertreten und zu diesem Termin auch nicht ordnungsgemäß geladen war7.

Im vorliegenden Fall war der Klägerin jedoch, wie sie selbst vorgetragen hat, bekannt, dass – nach zweifacher Verlegung des Verkündungstermins – am 12.05.2020 ein Urteil verkündet werden sollte (und wurde). Die Unterbevollmächtigte der Klägervertreter war in der mündlichen Verhandlung, an deren Ende der Verkündungstermin zunächst auf den 7.04.2020 angesetzt worden ist, anwesend. Den Klägervertretern sind die beiden Verlegungen des Verkündungstermins auf den 28.04.2020 und sodann auf den 12.05.2020 durch Übersendung der entsprechenden Beschlüsse bekannt geworden. Zu den jeweils angesetzten Verkündungsterminen brauchte die Klägerin nicht geladen zu werden (§ 218 ZPO).

Der Tenor der am 12.05.2020 verkündeten Entscheidung hätte dem Klägervertreter etwa fernmündlich bekanntgegeben werden können. Ungeachtet der Fehler, die im Zusammenhang mit der Verkündung des angefochtenen Urteils im Bereich des Landgerichts gemacht worden sind (keine Gründe, keine Zustellung), wäre es daher unter den gegebenen Umständen Sache der durch das Sachurteil beschwerten Klägerin gewesen, sich rechtzeitig über den Fortgang des Verfahrens zu unterrichten8.

Ohne Zustellung (oder Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO) des Urteils – wie hier – läuft zwar zunächst die Berufungsfrist nicht. Der letzte Halbsatz des § 517 ZPO verhindert aber, dass deswegen nie Rechtskraft eintritt. Entsprechend der Ratio der Regelung, die an die Verkündung anknüpft, genügt es, dass diese wirksam war, mangelfrei muss sie nicht sein9.

Schleswig -Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 23. Juni 2021 – 5 U 58/21

  1. BGH, Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 131/09, Rn.20; BGH, Beschluss vom 13.03.2012 – VIII ZB 104/11, Rn. 12[]
  2. BGH, Beschluss vom 06.12.1988 – VI ZB 27/88 4; BGH, Beschluss vom 29.09.1998 – KZB 11/98 8[]
  3. BGH, Beschluss vom 29.09.1998 – KZB 11/98 9 mwN; BGH, Urteil vom 13.04.2011 – XII ZR 131/09, Rn. 16; BGH, Beschluss vom 21.04.2015 – VI ZR 132/13, Rn. 10[]
  4. für die Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG: BGH, Beschluss vom 22.04.2020 – XII ZB 131/19, Rn. 13; Ball in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl.2021, § 517 Rn. 8[]
  5. BGH, Beschluss vom 29.09.1998 – KZB 11/98 10 mwN; Heßler in: Zöller, ZPO, 33 Aufl.2020, § 511 Rn. 1, § 517 Rn. 2[]
  6. BGH, Beschluss vom 29.09.1998 – KZB 11/98 10 mwN[]
  7. BGH, Beschluss vom 01.03.1994 – XI ZB 23/93 7 mwN; BGH, Beschluss vom 29.09.1998 – KZB 11/98 11 mwN; BGH, Beschluss vom 18.11.2003 – LwZB 1/03 7[]
  8. vgl. BGH, Beschluss vom 01.03.1994 – XI ZB 23/93 7; BGH, Beschluss vom 29.09.1998 – KZB 11/98 11 mwN[]
  9. Heßler in: Zöller, ZPO, 33 Aufl.2020, § 517 Rn. 17 mwN[]