Ein Gynäkologe haftet nicht für eine ungewollte Schwangerschaft, wenn die Frau über die Aussagekraft eines niedrigen Anti-Müller-Hormon-Wertes (AMH-Wert) nicht falsch informiert worden ist.
Mit dieser Begründung hat das Oberlandesgericht Hamm in dem hier vorliegenden Fall einer Schadensersatzklage wegen ungewollter Schwangerschaft keinen Erfolg beschieden. Gleichzeitig ist das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bielefeld1 bestätigt worden. Geklagt hatte eine über 40 Jahre alte Frau aus dem Kreis Minden-Lübbecke. Sie ist Mutter dreier vor dem Jahr 2000 geborener Kinder. Nachdem die Klägerin über zehn Jahre die Antibabypille eingenommen hatte, begehrte sie im Frühjahr 2012 die Bestimmung des AMH-Wertes, wobei die Parteien darüber streiten, ob die Klägerin über die Bedeutung des Wertes zutreffend aufgeklärt wurde. Einige Wochen nach dem Gespräch über den Test erfuhr die Klägerin, dass ihr AMH-Wert unter 0,1 liege und entschloss sich dazu, die Antibabypille abzusetzen. Eine andere Art der Empfängnisverhütung unterließ sie und wurde in der Folgezeit – ungewollt – schwanger. Die Klägerin brachte im Alter von 45 Jahren Ende des Jahres 2012 einen weiteren Sohn zur Welt.
Für die aus Sicht der Klägerin behandlungsfehlerhaft eingetretene Schwangerschaft verlangt sie von den beklagten ortsansässigen Gynäkologen ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro und Ersatz von Unterhaltsschäden bis zur Volljährigkeit des Kindes. Nachdem die Schadensersatzklage vor dem Landgericht Bielefeld keinen Erfolg hatte, hat die Klägerin ihr Ziel vor dem Oberlandesgericht Hamm weiter verfolgt.
In seiner Urteilsbegründung hat das Oberlandesgericht Hamm ausgeführt, dass die Klägerin – ausweislich der glaubhaften Aufzeichnungen in den Behandlungsunterlagen der Beklagten – bei dem ersten Gespräch über den AMH-Test von dem sie behandelnden Gynäkologen auch auf die Unsicherheit des Tests und die Notwendigkeit weiterer Verhütung hingewiesen worden sei. Dass ihr zu einem späteren Zeitpunkt – bei der Bekanntgabe ihres AMH-Wertes – von einer Mitarbeiterin der Beklagten fälschlicherweise mitgeteilt worden sei, dass sie bei dem festgestellten Wert nicht mehr verhüten müsse, sei nicht bewiesen.
Die beklagten Gynäkologen seien auch nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin von sich aus nach dem Erhalt des AMH-Wertes (erneut) über dessen geringen Aussagewert und das Erfordernis weiterer Verhütung aufzuklären. Ihre Aufklärung in dem ersten Gespräch sei ausreichend gewesen. In dieser Situation sei von einem behandelnden Gynäkologen kein weiteres eigenständiges Nachfragen bei einer Patientin zu verlangen. Die Entscheidung, ob sie weiterhin Verhütung betreiben oder diese unterlassen wolle, habe allein der Klägerin oblegen. Es sei daher ihre Sache gewesen, dem behandelnden Gynäkologen von sich aus ggfls. weitere Fragen zu stellen.
Über die Aussagekraft des AMH-Wertes sei die Klägerin nicht falsch informiert worden, so dass keine fehlerhafte Behandlung der Klägerin durch die beklagten Gynäkologen festzustellen sei.
Die Klägerin hat Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt2.
Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 23. Februar 2018 – 26 U 91/17